Narratologie Interdisziplinär

Projektleitung: Prof. Dr. Jörg Rogge
Projektbearbeitung: Davina Hachgenei M.A., geb. Brückner

Ziel des Dissertationsprojektes war es zu belegen, dass die Narratologie als literaturwissenschaftliche Methode gewinnbringend auf einen historiographischen Untersuchungsgegenstand angewendet werden kann. Dazu wurden in einem ersten Schritt bestehenden Theorien und Konzepten evaluiert, um die Übertragbarkeit einer primär literaturwissenschaftlichen Methode zu rechtfertigen. Denn obwohl „Narratologie“ in irgendeiner Form in verschiedenen Wellen im kulturwissenschaftlichen Diskurs zeitweise scheinbar omnipräsent war, führte die Beschäftigung mit narratologischen Theorien nicht zu einem methodologischen Paradigmenwechsel. Entsprechend wurde viel zur Narrativität von Kultur und Geschichte und zur Narratologie als travelling concept gesagt, jedoch noch nicht in einer zielführenden Zusammensetzung der je einzelnen Aspekte der Thematik. An diesem Punkt leistet die vorliegende Arbeit einen entscheidenden Beitrag zur bisherigen Forschung, insofern das heuristische Potential der Methode an Beispielen erprobt und belegt wird und die theoretischen Grundlagen pragmatisch und stringent auf den Gegenstand bezogen konzeptualisiert werden. Entsprechend trägt die Arbeit an zwei Punkten zur Neuausrichtung einer narratologischen Theoriebildung in der Kulturwissenschaft bei. Neu an dem hier vorgestellten Ansatz ist erstens die definitorische Neubestimmung des Begriffs der Narrativität anhand ihrer Funktion Sinnstiftung. Zweitens führt die strikte gedankliche Differenzierung vom kognitionstheoretischen Ansatz von denen des kulturell-sprachlichen Phänomens der Erzählung zu einer (in bestehenden Konzepten bisher weitestgehend fehlenden) begrifflichen und inhaltlichen Konturierung. Diese theoretischen Überlegungen schaffen außerdem die Grundlage dafür, die Ergebnisse der Textanalyse an das Textäußere zurückzubinden und damit die historisch-kulturellen Bedingungen der Textentstehung mit in den Blick zu nehmen. Insofern bleibt die textbasierte Analyse dann nicht auf eine bloße Interpretation des Inhalts beschränkt, sondern denkt die pragmatische Verankerung des Textes mit. Dies öffnet den Blick für die kulturhistorische Dimension der jeweiligen Texte als Artefakte und eröffnet damit neue Interpretationsebenen.

Zur Darstellung der Funktion der Methode eignen sich die beiden analysierten Quellen, Walter Bowers Scotichronicon (ca. 1445) und John Barbours The Bruce (1375) in besonderem Maße. Es handelt sich dabei um zwei Texte, die in der Forschungstradition fast ausschließlich als Ausdruck der nationalen Einheit und vor allem der nationalen Unabhängigkeit Schottlands bewertet und dementsprechend vor diesem Hintergrund untersucht und interpretiert werden. Auch in der neusten Forschung wird diese Meinung immer noch maßgeblich tradiert. Scottishness, „national identity“ und „nationhood“ bleiben die bestimmenden Forschungsthemen. Jedoch liegt die Vermutung nahe, dass der Reiz und die Wirkmacht dieser Art der Fragestellung sich eher angesichts je aktueller politischer Entwicklungen erklären lassen. Hier hilft die textbasierte Analyse, die jeweiligen Texte nicht nur vor dem Hintergrund des aktuell (vor-)gegebenen Interessenhorizontes zu interpretieren, sondern sie als facettenreiche Produkte zeitgenössischer Kontingenzbewältigung und Sinnproduktion zu begreifen. Dadurch werden sie vor allem als kulturelle Produkte ihrer Zeit verstanden und können schließlich mit Kriterien bewertet werden, die ihnen und ihrer Entstehungszeit angemessenen sind.

Die Arbeit leistet durch die Klärung des Status der Narratologie als Theorie und Methode einen Beitrag zu geschichtswissenschaftlichen Grundlagen und über den Untersuchungsgegenstand auch spezifisch zur Schottlandforschung.

Kontakt: Davina Hachgenei

E-Mail: